Seit einigen Jahren piept es in der Kirche zur Brutzeit: Hausrotschwänze haben herausgefunden, wie man auf wundersame Weise Tag und Nacht durch die Kirchenportale fliegen kann und brüten in den Mauernischen im Kircheninnern. Sie sind nicht die einzigen tierischen Bewohner in der Pilgerkirche:
In der Wunderblutkirche gibt es eine alte hölzerne Pfingsttaube. Als Symbol des Heiligen Geistes schwebte sie früher am Pfingstfest zwischen Kirchendach und Taufbecken. Dieser Brauch ist heute nicht mehr üblich. Lebendige Tauben gibt es dafür zuhauf an der Kirche zu sehen. Bei den meisten handelt es sich um verwilderte Haustauben, die fast das gesamte Jahr in Mauernischen an der Kirche brüten. Die Stammform der Haustaube ist die Felsentaube. Wie ein großer Felsen zieht der gewaltige Kirchenbau am Rand der Elbtalaue die Tiere an. Vor Jahren kam sogar ein Uhupaar nach Wilsnack, balzte und das Weibchen legte noch ein Ei. Doch dann verschwanden die beiden, ohne eine Botschaft zu hinterlassen. Heute brüten Uhus erfolgreich am Havelberger Dom.
Ein anderer kleiner Greifvogel bleibt Wilsnack seit Jahrzehnten treu: mit mehreren Paaren brüten Turmfalken an der Kirche. Im Frühjahr kommt es manchmal zu lautstarken Kämpfen um die besten Brutplätze. Die kleine Falkenart lebt fast ausschließlich von Mäusen und übt eine friedliche Koexistenz mit den Tauben. Die Falken sind regelmäßig bei kunstvollen Flügen über der Kirche zu beobachten.
Mit den typischen Kjaack-kjaack Rufen machen Dohlen auf sich aufmerksam. Konrad Lorenz hat diesen hochintelligenten Vögeln ein Denkmal gesetzt. Sie sind wahre Kunstflieger und können überall an Fassade oder Kirchendach landen. Wegen ihrer Vorliebe für Kirchen und des grau-schwarzen Gefieders werden sie auch „des Pastors schwarze Tauben“ genannt. An der Wunderblutkirche ist eine kleine Kolonie von etwa 10 Brutpaaren dieses andernorts seltenen Singvogels beheimatet. Sie fliegen immer in kleinen Schwärmen umher und sind leicht zu beobachten.
Eine andere Tiergruppe bekommt man dagegen selten zu Gesicht, obwohl sie die Kirche Sommer wie Winters nutzen: Fledermäuse halten in der Kirche in sicheren Verstecken Winterschlaf und jagen in der wärmeren Jahreszeit Insekten im Kircheninnern.
Aber das tun sie nur in der Dämmerung und Nacht. Vermutlich vermehren sie sich auch in sogenannten Wochenstuben irgendwo im Kirchendach – bisher konnte aber noch keine Wochenstube entdeckt werden. Im Spätsommer finden sich sehr viele der kleinen Kotwürstchen auf dem Kirchengestühl. Sie sind der Beweis, dass es hier reichlich Nahrung und Fledertiere geben muss. Nachgewiesen sind die Arten Braunes Langohr, Zwergfledermaus, Fransenfledermaus und Breitflügelfledermaus.
So sorgen auch diese Tiere dafür, dass die Kirche ein sehr lebendiger Raum mit einem Neben- und Miteinander vieler Gestalten ist.
Jochen Purps